Heißzeit. Wissenschaftliche Narrationen und die Rolle der Kunst

Ein internationales Team aus Wissenschaftlern spricht vom Zeitalter des Menschen als Heißzeit, wenn nicht das 2-Grad-Ziel überdacht und eine emissionsfreie Weltwirtschaft beschleunigt wird. Ihre Erzählung liefert Fakten und spricht Warnungen aus. Und die Kunst?

Der Forschungsstand

Die Wissenschaftler der Studie, u.a. vom Potsdam-Institut für Klimaforschung und vom Stockholm Resilience Centre entwerfen ein Szenario des zukünftigen Erdsystems, das sie als „Hothouse Earth“ bezeichnen, als „Heißzeit“. Dabei machen sie auf das Risiko aufmerksam, dass auch eine Erwärmung von wenig unter 2 Grad – dem formulierten Maximalwert des Pariser Klimaabkommens – existentielle Auswirkungen auf das Erdsystem haben kann und plädieren für ein ambitionierter gesetztes Klimaziel.

Die Heißzeit sei Kennzeichen des neuen Zeitalters Anthropozän. Es repräsentiere den Beginn einer rapiden menschengemachten Entwicklung, die das Erdsystems zu neuen, heißen Klimabedingungen und einer grundlegend veränderten Biosphäre führe. Die Verschränkung von biogeophysischen Feedbackprozessen (z.B. das Sterben des Regenwaldes des Amazonas und die Schmelze von Permafrost) und die direkte menschliche Zerstörung der Biosphäre (z.B. der Korallenriffe) könne, anders als bisher angenommen, zum wichtigsten Faktor der Erdentwicklung werden (Steffen et al. 2018).

Das Narrativ

Die Wissenschaftler formulieren ein Narrativ, das sich vom gängigen Klimawandel-Narrativ – vor allem der Wissenschaft – abgrenzt, bei dem der Mensch als externe Kraft gesehen wird. Die Gesellschaft und menschliches Handeln müsse als „integraler und interaktiver Bestandteil in das komplexe, adaptive Erdsystem integriert werden“ (Steffen et al. 2018). Mensch und Gesellschaft müssen also als gleichwertiger Teil des Erdsystems angesehen werden, nicht mehr und nicht weniger.

Dieses Narrativ ist nicht neu (vgl. u.a. Holistische Umweltethik Martin Gorkes, Ökologische Modernisierung Martin Jänickes, Andreas Webers Enlivenment). Aber die Wissenschaftler akzentuieren das hochverschränkte Verhältnis von Mensch und Natur in der klimawissenschaftlichen Debatte und trauen sich, interdisziplinäre Schranken zu durchbrechen – indem sie aktuelle naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit philosophischen Reflexionen interagieren lassen – um eine neue Erzählung zu beginnen.

Die Erzählung

Treibhausgasemissionen aus Industrie und Landwirtschaft können das gesamte Erdsystem aus dem Gleichgewicht bringen. Durch verschiedene Rückkopplungsprozesse kann die Welt damit in den Zustand der Heißzeit kommen.

„Diese Kippelemente könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten. Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu. Es könnte sehr schwierig oder sogar unmöglich sein, die ganze Reihe von Dominosteinen davon abzuhalten, umzukippen. Manche Orte auf der Erde könnten unbewohnbar werden, wenn die „Heißzeit“ Realität würde.“ (Johan Rockström in der Pressemitteilung des PIK)

Wie kann die Wissenschaft erzählen? Wie kann die Kunst erzählen?

Die Wissenschaft bricht das komplexe Thema Anthropozän und Klimawandel auf wissenschaftlich gewonnene Fakten herunter. Sie gibt Handlungsempfehlungen an Politik und Gesellschaft ab, oder spricht gar konkrete Warnungen und Besorgnisformulierungen aus. Es ist eine beschreibende Erzählung, die den faktenbasierten und objektiven Duktus der Wissenschaftlichkeit wahrt, aber auch in einer eher unwissenschaftlichen Bildlichkeit („Dominosteine“) die Dramatik des Wandels deutlich macht.

Die sieben KünstlerInnen von auto mobilis 2 haben auf das aus der Wissenschaft kommende Konzept Anthropozän künstlerische Antworten gegeben.

Ein weiteres Beispiel für Kunst im Anthropozän: Im Naturkundemuseum Berlin ist aktuell die Ausstellung ARTEFAKTE des in New York lebenden Fotografen J Henry Fair zu sehen. Seine Fotografien zeigen Orten aus der Vogelperspektive, an denen Menschen Spuren hinterlassen haben, wie den Hambacher Forst. Er sagt: „For some reason I was born with an extreme sensitivity to the natural world“ – „Aus irgendeinem Grund wurde ich mit einer extremen Empfindsamkeit gegenüber der natürlichen Welt geboren“.

Kann dieser Ausspruch paradigmatisch für das stehen, was Kunst leisten kann, das Ganze (die Welt und deren Veränderungen) mittels Emotionen nahe zu bringen? Hinter dem Kunstwerk steht untrennbar der Künstler. Doch sind seine Fotos Detailaufnahmen und die Brücke zu mehr muss womöglich erst geschaffen werden, damit Reflexionsanstöße ankommen, wo sie ankommen sollen, beim Menschen im Anthropozän.

Somit bleiben grundsätzliche Fragen: Ist es überhaupt möglich, solche „Hyperobjekte“ wie Klimawandel oder Anthropozän künstlerisch zu fassen? Ist damit Kunst zweckhaft und politisch, weil derjenige, der die Welt gestalten will, sich mit ihr und ihren Problemen auseinandersetzen muss?

Das Barcamp „Diskurs zu Anthropozän, Kunst und Alltag in der Region Malchin“ des Projekts auto mobilis 2 werden diese und weitere Fragen diskutieren.

 

Quellen:

Gorke, Martin (2010): Eigenwert der Natur: Ethische Begründung und Konsequenzen. Stuttgart: Hirzel

Jänicke, Martin; Troge, Andreas (2012): Megatrend Umweltinnovation. Zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat. 2. Auflage. München: Oekom-Verlag

PIK, Pressemitteilung: https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/auf-dem-weg-in-die-heisszeit-planet-koennte-kritische-schwelle-ueberschreiten

Steffen, Will et al. (2018): Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. http://www.pnas.org/content/pnas/115/33/8252.full.pdf

Weber, Andreas (2016): Enlivenment. Eine Kultur des Lebens. Berlin: Matthes&Seitz

 

 

Von Simone Hieber

 

Simone Hieber ist Umweltsoziologin, als Projektmitarbeiterin am KMGNE tätig und für die Öffentlichkeitsarbeit von auto mobilis 2 zuständig.